Faszien…das große unbekannte Wesen
Untertitel: Was ist das? Kann man das essen?
Ein ganz klares: Nein!
Kennst du das Gefühl morgens nach dem Aufstehen, dass dein Körper wie verkatert wirkt? Überall knirscht und knackt es im Gebälk (wie in einem Fachwerkhaus mit uralten Holzbalken). Dabei hast du am Vortag gar nicht über die Stränge geschlagen und lebst eigentlich ganz gesund. Gerade mit zunehmendem Alter ist dieses Gefühl immer öfter da bzw. zeigt sich verstärkt (dies ist zumindest meine Erfahrung).
Was ist das bloß? Sind es die Knochen oder ist es Muskelkater?
Hast du mal dran gedacht, dass es sich um deine Faszien handeln könnte? Wenn du dich jetzt fragst, ob das eine Krankheit ist oder mit welchen Tabletten man dieses Gefühl vermeiden kann, dann geben dir die nachfolgenden Zeilen vielleicht einen kleinen Denkanstoß.
Seit einiger Zeit sind sie in aller Munde…Faszien. Man spricht auch von Bindegewebe. Jeder hat es und jeder braucht es. Faszien haben die Menschen schon immer gehabt.
Die Fitnessindustrie hat bereits vor etlichen Jahren diesen Trend erkannt und ist auf den „rollenden“ Zug aufgesprungen. Es wurden Werkzeuge/ Tools entwickelt und auf dem Fitnessmarkt angeboten. Diese sollen dabei helfen, Faszien zu bearbeiten, zu triggern, zu verschieben und kneten oder einfach nur zu behandeln. So kamen Faszienrollen, Faszienbälle, Fasziensticks, Gummibänder aus allen möglichen Materialien in die Läden und ich denke, dass jeder Zweite von euch eins dieser Spielzeuge zu Hause hat.
Natürlich haben die Fitnessstudios dieses Thema aufgegriffen. So wurden Gruppenkurse ins Leben gerufen und mit dem Zusatz „Faszien-…“ versehen. Schon lockte es die Teilnehmer wieder in den Kursbereich. Der Fitnessmarkt lebt von Innovation und manchmal ist das auch gut so.
Doch was ist nun eine Faszie und was macht sie bzw. was mach ich damit? Denn schließlich will ich mit meinen Bemühungen zu Hause oder beim Gruppenkurs im Gym etwas erreichen. Bestenfalls sollen Schmerzen verschwinden und verschwunden bleiben…und wenn es richtig gut läuft, fühle ich mich danach wie ein geschmeidiger Leopard.
Zur Ehrenrettung des Fitnessmarktes muss man sagen, dass die Bedeutung des Bindegewebes und des faszialen Systems Wissenschaftlern erst seit einigen Jahren so richtig klar geworden ist.
So stellten sie fest, dass das Bindegewebe überall im menschlichen Körper vorhanden ist. Es handelt sich dabei um mehr als nur ein Hüllmaterial. Es wird sogar als das größte Sinnesorgan oder als „Geflecht des Lebens“ bezeichnet und erlangt damit eine sehr große Bedeutung für Gesundheit und Wohlbefinden. Gern wird der bildliche Vergleich mit einer Grapefruit hergestellt. Jeder der eine solche Frucht mal aufgeschnitten hat, kennt die weiße Haut, die in unterschiedlichster Form in der gesamten Frucht vorhanden ist. Diese Haut trennt einzelne Fruchtfleischsegmente voneinander ab und hält sie in Form.
Dieses Gewebe befindet sich also nicht nur in unserer Haut, sondern auch in Muskeln, Knorpeln, Sehnen und Bändern. Es ist überall in diesem komplexen System Mensch vorhanden und umhüllt Organe (Darm, Leber, Herz, etc.) bzw. durchdringt sie. Selbst das Gehirn kommt ohne Faszien nicht aus. Der gesamte Körper ist feinmaschig von oben bis unten durchzogen. Sie formen nicht nur die Muskelpakete und geben diesen eine Struktur, sondern sie übertragen und speichern auch Kraft. Zudem sind sie am Stoffwechselsystem beteiligt und haben einen großen Anteil am Flüssigkeitstransport im menschlichen Körper.
Und nicht nur das. Über 80 % der freien Nervenendungen im Menschen befinden sich in den Faszien, die die Muskeln des Bewegungsapparates gegen die Unterhaut abgrenzen. Dieses Netzwerk ist mit mehr Bewegungssensoren und Schmerzrezeptoren ausgestattet als die Muskeln. Damit dient es der Wahrnehmung von Bewegung und dem Körpersinn. Nur so weißt du, wie du gerade stehst, ob du aufgerichtet oder gebeugt bist.
Damit ist den Forschern deutlich geworden, dass das fasziale System in der Lage ist, Schmerzen auszulösen. Insbesondere die Lendenfaszie ist oftmals Entstehungspunkt für Rückenschmerzen. Sie ist ein komplexes Gebilde und gerade hier befinden sich viele hochempfindliche Schmerzrezeptoren.
Der Mensch ist ausgestattet mit einem ganzen System von in sich zusammenhängenden Faszienketten, die miteinander verwoben und verbunden sind. Zieht man an einer Stelle im Körper, so löst dies eine Bewegung an einer anderen weit entfernten Ecke aus. Das architektonische Tensegrity-Modell (siehe Bild) zeigt diesen Ansatz sehr gut auf. Die unter Zugspannung und Zusammenhalt ausgerichteten Faszien sorgen dafür, dass der Mensch stabil aber dennoch beweglich ist.
Und genau dieses System muss gehegt und gepflegt werden. Der bekannte Humanbiologe und Faszienforscher, Robert Schleip, hat den kurzen aber prägnanten Satz geprägt: „Wer sich nicht bewegt, verklebt.“
Und da haben wir es…dieses Gefühl von dem ich am Anfang gesprochen habe.
Doch was kannst du dagegen tun?
Sei aktiv…stell dir morgens 10 Minuten früher den Wecker und gönn dir diese Zeit ausschließlich für die Innenpflege deines Körpers. Waschen kannst du dich später. Stell dir vor, du musst den Innenraum deines Autos aussaugen, weil die Kinder gerade mal wieder gekrümelt haben. Dein Auto soll ja nicht nur von außen gepflegt und sauber aussehen.
Also: Dehn dich und streck dich, am besten bei geöffnetem Fenster und atme tief durch.
Eine kleine Übung möchte ich dir ans Herz legen:
Stell dich hüftbreit hin, richte dich gerade aus, schiebe deinen Kopf nach oben und beuge leicht die Knie. Nun beginnst du (leicht wie eine Feder) auf und ab zu wippen. Die Bewegung kommt aus deinen Füßen, die dich erden und dir Halt geben. Deine Knie wirken wie Stoßdämpfer. Die Arme und Schultern lass locker hängen. Den Kopf balancierst du mit jeder federnden Bewegung aus. Mit jeder Abwärtsbewegung lässt du Anspannung und das Gefühl von Trägheit nach unten fallen (übrigens auch eine tolle Übung für abends, um die tägliche Anspannung rauszulassen).
Mach dies 60 Sekunden lang. Dann führe deine Arme über die Seite nach oben und atme tief dabei ein. Strecke dich. Schiebe deine Kopfkrone gen Himmel und ziehe nun den rechten Arm diagonal über dem Kopf nach links. Damit dehnst du deine rechte seitliche Faszienkette. Deine Rippen, die nachts dein Körpergewicht tragen mussten, bekommen Platz und die kleinen Muskeln zwischen den Rippen werden gedehnt. Atme mit jeder Bewegung tief in den Rippenbereich hinein und nimm diese Bewegungen und die Reaktionen deines Körpers ganz bewusst wahr. Wechsle nun die Seite. Diese Übung kannst du auch im Sitzen machen so wie der Frosch.
Das ist für eine tägliche Morgenroutine schon ein Anfang und du wirst die erfrischende und vitalisierende Wirkung schnell spüren.
Neben federnden und dehnenden Übungen ist weiterhin die Behandlung deiner Faszien mit einer Faszienrolle oder einem Faszienball der Klassiker schlechthin und abends vor dem Fernseher während der Nachrichten eine tolle Kombination (und schon kannst du von dir behaupten, dass du multitaskingfähig bist).
Du siehst, du kannst eine Menge tun, um deine Faszien zu unterstützen, um so schmerzfreier und gesünder durch den Alltag zu kommen. Und natürlich ist Yoga ein ganz tolles Faszientraining…aber das ist ein anderes Thema.
Ach ja: Zum Schluss möchte ich noch bemerken, deine Faszien können nur leicht und locker arbeiten, wenn sie genügend Flüssigkeit angeboten bekommen. Also trinke tagsüber so zwischen 1,5 und 2 Liter Wasser oder ungesüßte Tees. Noch bevor du Durst bekommst, solltest du etwas getrunken haben. Gerade jetzt in der Sommerzeit ist dies wichtiger denn je.
In diesem Sinne…lass es federn, strecken und rollen…..
Dein Michael